
Expertenanalyse: Quo vadis tschechische Wirtschaft und Banken?
Wie entwickeln sich die tschechische Wirtschaft und der Bankensektor im aktuellen geopolitischen Umfeld? Erfahren Sie mehr in dieser ausführlichen Analyse von Tomas Valousek, Head of Financial Institutions bei der Raiffeisen Bank Czech Republic (RBCZ). Lesen Sie außerdem unser Interview mit Miloš Král, der seit November 2024 bei der RBCZ ist, um einen spezialisierten Financial-Institutions-Sales-Desk für Kapitalmärkte aufzubauen.
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… Bankensektor – Haushalte geben ihre Ersparnisse (bislang) nicht aus
… IC RBCZ: Aktuelle und zukünftige Entwicklungen
… Zinsausblick für die Tschechische Krone (CZK)
… Europa – eine strahlende Zukunft in Sicht?
… Handelskrieg schränkt Spielraum für Erholung der tschechischen Wirtschaft ein
… Interview mit Miloš Král zu Kapitalmärkten für institutionelle Kunden
Bankensektor – Haushalte geben ihre Ersparnisse (bislang) nicht aus
Im Jahr 2024 blieb der Bankensektor der Tschechischen Republik robust, wobei die meisten Banken ihr Geschäft sowohl im Unternehmens-/Institutionssegment als auch im Privatkundengeschäft ausbauen konnten.
Im Jahresvergleich stiegen die Gesamteinlagen im letzten Jahr um 7,8 %, deutlich weniger als der Anstieg von 14,4 % im Vorjahr. Dennoch ist die Wachstumsrate der Einlagen immer noch höher als in den Jahren 2021-2022. Die Gesamtsparbeträge von Unternehmen und Haushalten sind in den letzten drei Jahren um fast eine Billion Kronen gestiegen, ein erhebliches Potenzial zur Unterstützung von Investitionen und Konsum.
Das Kreditwachstum verlangsamte sich im Jahresvergleich von 7,0 % auf 5,3 %. Die Kredite an nichtfinanzielle Unternehmen verzeichneten ein langsameres Wachstum (+5,2 % im Jahresvergleich), während die Kredite an private Haushalte auf 6,0 % im Jahresvergleich anzogen. Was das Neugeschäft betrifft, so war das Jahr sowohl für Unternehmens- als auch für Privatkundenkredite erfolgreich.
Im vergangenen Jahr nahmen Verbraucher Kredite in Höhe von 135 Mrd. CZK auf, das entspricht einem Anstieg von 30 % gegenüber dem Vorjahr. Bei den Unternehmenskrediten haben wir nicht nur die Kreditvergabe, sondern auch die Verteilung zwischen Krediten in tschechischen Kronen und Euro beobachtet. Das Gesamtvolumen der neuen Unternehmenskredite stieg im Jahresvergleich um 24,1 % auf 616 Mrd. CZK, davon 313 Mrd. CZK in CZK (+29,8 % im Jahresvergleich) und 303 Mrd. in EUR (+18,8 % im Jahresvergleich). In den letzten zwei Jahren hat sich der Zinsunterschied allmählich verringert, was Kredite in Kronen begünstigt hat; das Verhältnis zwischen neuen Kronenkrediten und Eurokrediten bleibt jedoch ausgewogen. Die Euroisierung der Unternehmenskredite schreitet weiter voran, wobei der Anteil der auf Euro lautenden Kredite am Gesamtkreditvolumen des Bankensektors im letzten Jahr um 2 Prozentpunkte auf 52 % gestiegen ist, verglichen mit nur 32 % vor fünf Jahren.
IC RBCZ: Aktuelle und zukünftige Entwicklungen
Im Jahr 2024 konzentrierte sich die RBCZ weiterhin auch auf das IC-Segment (Institutional Clients). Wir sehen insbesondere im schnell wachsenden Fondsgeschäft große Chancen für dieses und die kommenden Jahre. Als Reaktion darauf haben wir Angebot an Depotprodukten und -dienstleistungen weiter verbessert und erwarten, bis Mitte 2025 als Depotbank für 35 Fonds von 3 Vermögensverwaltern zu fungieren.
Da das IC-Segment in vielerlei Hinsicht anspruchsvoller ist als beispielsweise das Privatkunden- oder Firmenkundengeschäft, müssen wir die Automatisierung und Geschwindigkeit unserer Prozesse weiter verbessern. Die Digitalisierung wird in allen Bereichen der Interaktion mit unseren Kunden eine Schlüsselrolle spielen. Für 2025 liegt unser Hauptaugenmerk auf der Einrichtung eines spezialisierten IC-Sales-Desks für Kapitalmärkte. Mit diesem Schritt wollen wir unser Treasury-Angebot für IC-Kunden ausbauen und es besser auf die Bedürfnisse des IC-Segments, einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen, zuschneiden. Lesen Sie mehr darüber in unserem Interview mit Miloš Král, der zum Capital Markets FI Desk gestoßen ist, weiter unten.
Wir glauben auch an eine weitere Einbeziehung von ESG-Prinzipien (Environmental, Social, and Governance) in die Geschäftsanforderungen von IC-Kunden in der Zukunft. Die RBCZ möchte in diesem Bereich eine Vorreiterrolle einnehmen und hat im April 2025 erstmals ihren CSRD-Bericht (Corporate Sustainability Reporting Directive) veröffentlicht. Dank unserer kontinuierlichen Bemühungen ESG-Bereich wurde die RBCZ von der führenden Wirtschaftszeitung „Hospodářské noviny“ in ihrem ESG-Wettbewerb für 2024 ausgezeichnet.
Zinsausblick für die Tschechische Krone (CZK)
„Stop and go“ ist die treffendste Beschreibung für die Geldpolitik der Tschechischen Nationalbank (ČNB), da sie im Dezember letzten Jahres den Zyklus der geldpolitischen Lockerung unterbrochen hat. Bei ihrer ersten Sitzung in diesem Jahr im Februar senkte die ČNB erneut die Zinsen und beließ sie dann im März unverändert. Anfang Mai erfolgte eine weitere Senkung, sodass der 2-Wochen-Reposatz der ČNB derzeit bei 3,5 % liegt. Die Geldpolitik bleibt aufgrund der Inflationsentwicklung restriktiv, und die Äußerungen der Mitglieder des Bankrats deuten darauf hin, dass sie angesichts der wahrgenommenen Inflationsrisiken die Zinsen auf einem höheren Niveau halten werden. Wir gehen davon aus, dass die ČNB nach der Zinssenkung im Mai in diesem Jahr eine längere Pause bei den Zinssenkungen einlegen wird, um die neuen Daten auszuwerten. Sollte sich die Binnenkonjunktur schlechter entwickeln als derzeit prognostiziert und es deutliche Anzeichen für einen Rückgang der Inflation auf oder sogar unter 2 % geben, könnte es statt im zweiten Quartal 2026, wie von uns prognostiziert, bereits Ende dieses Jahres zu einer erneuten geldpolitischen Lockerung kommen.
Angesichts der Parlamentswahlen im Oktober 2025 dürfte es keine größeren Änderungen in der Geldpolitik geben. Da die oppositionelle ANO-Partei in den Umfragen führt, gehen wir davon aus, dass es selbst im Falle eines Regierungswechsels keine grundlegenden Änderungen der wichtigsten politischen Maßnahmen der Tschechischen Republik geben wird.
Europa – eine strahlende Zukunft in Sicht?
Nach zwei Jahren mit einem Wirtschaftswachstum von knapp über 1 % in der Eurozone wird dieses Jahr aus mindestens zwei Gründen nicht einfach werden. Erstens ist die deutsche Wirtschaft zwei Jahre in Folge geschrumpft, und es ist unwahrscheinlich, dass sich das in diesem Jahr wesentlich ändert. Die Prognosen gehen von einem leicht positiven Wachstum aus, und mehrere Risiken drücken die Wirtschaft nach unten. Zweitens steht die Eurozone derzeit am Rande eines Handelskrieges mit den USA. Da die 27 Mitgliedsländer viel stärker von der Entwicklung ihrer Exporte abhängig sind, werden die direkten und indirekten Auswirkungen der Zölle der europäischen Wirtschaft, insbesondere Deutschland, wahrscheinlich mehr schaden.
Für Deutschland ist der amerikanische Markt von entscheidender Bedeutung, insbesondere für den Automobilsektor, der weiterhin ein mögliches Ziel für die weitreichenden Zölle von Präsident Trump ist. Aufgrund der hastigen Beschlüsse der Trump-Regierung, von denen einige nur wenige Tage nach ihrer Verabschiedung wieder rückgängig gemacht werden, herrscht im internationalen Handel weiterhin erhebliche Unsicherheit und Verwirrung. Unter diesen Umständen ist in diesem Jahr keine signifikante Erholung in Deutschland und damit in der gesamten Eurozone zu erwarten.
Die Lockerung der Schuldenbremse in Deutschland und die geplante Erhöhung der Verteidigungsausgaben in Europa könnten die negativen Auswirkungen der Handelsstreitigkeiten mit den Vereinigten Staaten in den kommenden Jahren abmildern und das Wirtschaftswachstum sowohl in Europa als auch in Deutschland allmählich wieder ankurbeln. Ohne den Anfang April ins Gespräch gebrachten 25-prozentigen Zoll auf Automobile wurde für die EU ein Wirtschaftswachstum von 0,8 % in diesem Jahr auf 1,2 % und 1,7 % im Jahr 2026 erwartet. Neue Zölle auf Exporte aus der EU könnten die erwartete Erholung erheblich schwächen und die ansonsten günstigen Nachfragestimuli durch die Lockerung der deutschen Schuldenbremse überschatten. Das Risiko besteht in einer erneuten Stagnation der EU-Wirtschaft.
Handelskrieg schränkt Spielraum für Erholung der tschechischen Wirtschaft ein
Die tschechische Wirtschaft wuchs 2024 um genau 1 %, was in erster Linie auf höhere Ausgaben der privaten Haushalte zurückzuführen war. Der Beitrag der Auslandsnachfrage war dagegen nahezu null, was hauptsächlich mit dem Rückgang der deutschen Wirtschaft im zweiten Jahr in Folge zusammenhängt. Wir erwarten für dieses Jahr eine ähnliche Struktur der Binnenwirtschaft, mit der Binnennachfrage als wichtigstem Wachstumsmotor. Der Konsum der privaten Haushalte hat noch nicht wieder das Niveau vor COVID erreicht, die Sparquote bleibt hoch, und das im letzten Jahr einsetzende Wachstum der Reallöhne wird sich fortsetzen. Auf diese Faktoren stützten wir unsere Annahme einer steigenden Ausgabebereitschaft der privaten Haushalte. Entscheidend ist, dass die Ausgaben der privaten Haushalte von der Entwicklung der Verbrauchervertrauensindizes bestimmt werden – frühere Krisen haben gezeigt, dass es bei negativer Stimmung zu einem Rückgang der Ausgaben kommt. Auch der staatliche Konsum und die Investitionen werden sich positiv auf das tschechische BIP-Wachstum auswirken. Umgekehrt können wir uns in diesem Jahr nicht auf die Auslandsnachfrage verlassen, da die Prognosen für das Wachstum der deutschen Wirtschaft bei knapp über null liegen und die Auswirkungen der fiskalischen Expansion frühestens Ende des Jahres spürbar werden.
INTERVIEW: „Die Finanzmärkte haben in den letzten Jahren einige bedeutende Veränderungen durchlaufen.“
Im November 2024 ist Miloš Král zur RBCZ gestoßen, um einen spezialisierten Financial-Institutions-Sales-Desk für Kapitalmärkte aufzubauen. Miloš ist ein sehr erfahrener Kapitalmarktexperte, der viele Jahre im tschechischen Bankensektor tätig war und institutionelle Kunden betreute. Wir haben die Gelegenheit genutzt, Miloš einige Fragen zu seinen ersten Eindrücken bei der RBCZ zu stellen.
Wie war die allgemeine Marktlage in der Tschechischen Republik in den letzten Jahren?
Im Allgemeinen haben die Finanzmärkte in den letzten Jahren einige große Veränderungen durchlaufen, da Handel und Plattformen, digitale Vermögenswerte, Blockchain-Technologie sowie KI und Automatisierung und nun auch die Regulierung der Digitalisierung der Finanzmärkte in den letzten Jahren im Mittelpunkt standen. Wenn wir uns den lokalen Markt ansehen, hat offenbar vor allem die Digitalisierung den Finanzmarkt verändert und ihn schneller, zugänglicher, innovativer und wettbewerbsfähiger gemacht – aber auch riskanter und komplexer.
Sehen Sie neue Trends bei der Kundennachfrage auf dem tschechischen Markt?
Ja – in den letzten Jahren gab es einige sehr deutliche Trends bei der Kundennachfrage auf den Finanzmärkten, insbesondere im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Die wichtigsten sind Nachhaltigkeit und ESG, Personalisierung, Einfachheit und Zugänglichkeit sowie Transparenz und Vertrauen.
Haben die jüngsten geopolitischen Entwicklungen Auswirkungen auf die Situation auf dem tschechischen Markt?
Geopolitische Ereignisse sind weiterhin wichtige Treiber für die Volatilität der Finanzmärkte und die Entwicklung der Vermögenspreise. Kurz gesagt: Die jüngsten geopolitischen Krisenherde, insbesondere im Nahen Osten, die Zollkonflikte zwischen den USA und dem Rest der Welt sowie der Krieg zwischen Russland und der Ukraine haben die Marktvolatilität verstärkt, die Preise für Finanzanlagen verändert und die Währungsbehörden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Investoren berücksichtigen diese geopolitischen Risikoprämien nun routinemäßig in ihren Portfolios und wechseln dynamischer zwischen risikoreichen und risikoarmen Positionen.
Wo sehen Sie das größte Potenzial für die RBCZ im Bereich IC Capital Markets Sales?
Bei der Bewertung des finanziellen Potenzials des Marktes ist es wichtig, das Volumen des in verschiedene Finanzprodukte wie Investmentfonds, Pensionsfonds und andere Anlageinstrumente investierten Kapitals zu berücksichtigen. So sind beispielsweise 605 Mrd. CZK in Pensionsfonds und weitere 870 Mrd. CZK in Investmentfonds (Geldmarktfonds nicht eingeschlossen) investiert, was bedeutet, dass der IC-Kapitalmarkt nach wie vor gigantisch ist. Da wir uns in der Anfangsphase der Entwicklung des Vertriebsgeschäfts innerhalb von RBCZ befinden, ist es unser Hauptziel, uns einen guten Ruf zu erwerben und ein vertrauenswürdiger Partner für alle Marktteilnehmer in verschiedenen Bereichen wie Anleihehandel, Devisenhandel sowie Repo-Transaktionen und Zinsderivate zu werden.
Was sind Ihrer Meinung nach die entscheidenden Faktoren für den Erfolg?
Ich würde sagen, dass nur Institutionen erfolgreich sein können, die zunächst in einen soliden digitalen Kern investieren und agile, funktionsübergreifende Teams aufbauen, begleitet von einem persönlichen Ansatz. Mit persönlichem Ansatz meine ich, jeden Kunden als „segment of one“ zu behandeln, ihm das richtige Angebot über den richtigen Kanal und zum richtigen Zeitpunkt zu unterbreiten – das sind aus meiner Sicht die entscheidenden Erfolgsfaktoren.
Gab es etwas, das Sie nach Ihrem Eintritt in die RBCZ überrascht hat?
Wenn jemand den Job wechselt, gibt es immer Überraschungen. Das gehört zum Lernprozess dazu – die Kultur und die Arbeitsweise zu verstehen und herauszufinden, wo ich am effektivsten beitragen kann. Eine Sache, die mich nach meinem Eintritt in die Gruppe wirklich positiv überrascht hat, war, wie zugänglich und hilfsbereit alle sind. Auf der anderen Seite sehe ich noch Potenzial für bessere und schnellere interne Prozesse, und daran arbeiten wir gerade.
Quelle:
Strategie Tschechische Republik, 1. Quartal 2025, Raiffeisen Bank Tschechische Republik
investice.rb.cz/?c15004[key]=5491