Zum Hauptinhalt wechseln

Albertina-Direktor im Interview: Neue Perspektiven mit Gothic Modern

Im Interview mit Dr. Ralph Gleis erfahren Sie, wie die Ausstellung "Gothic Modern" den Dialog zwischen mittelalterlicher und moderner Kunst beleuchtet und Kunst für die Gesellschaft öffnet.

  • By Alexandra Jocham
  • Events & Lifestyle

In der Ausstellung "Gothic Modern" in der Albertina Wien trifft die emotionale Ausdruckskraft mittelalterlicher Kunst auf Meisterwerke des Symbolismus und Expressionismus. Diese Schau ermöglicht es, die Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu erkunden und zeigt, wie moderne Künstler:innen von gotischen Vorbildern inspiriert wurden.

Im Rahmen der Eröffnung haben wir mit Dr. Ralph Gleis gesprochen, der seit Anfang 2025 Generaldirektor der Albertina ist und die Ausstellung kuratiert hat. In unserem Gespräch thematisiert er die Hintergründe der Ausstellung sowie die Rolle der Raiffeisen Bank International (RBI) als Sponsor. Diese Unterstützung ermöglicht es, kulturelle Projekte wie "Gothic Modern" zu realisieren und einige unserer Kund:innen zu dieser Veranstaltung einzuladen. Gleis erläutert zudem die Bedeutung von Kunst als verbindendes Element in der modernen Gesellschaft.

Dr. Ralph Gleis, Generaldirektor, Albertina Museum
Dr. Ralph Gleis, Generaldirektor, Albertina Museum

Im Gespräch mit Albertina-Direktor Ralph Gleis

Herr Dr. Gleis, Gothic Modern zeigt, wie Künstler:innen der Moderne sich bewusst von spätmittelalterlicher Kunst inspirieren ließen. Was war für Sie persönlich der überraschendste Dialog zwischen den Werken der Moderne und jenen des 15. Jahrhunderts?

Dr. Gleis: Die Moderne wird zumeist als radikaler Neubeginn und als ein Bruch mit der Tradition verstanden. Überraschend ist hierbei jedoch, dass die Künstler:innen der Moderne durchaus auch auf historische Vorbilder blickten, allerdings auf solche, die vor die akademische Tradition zurückgehen, nämlich auf Werke des Mittelalters beziehungsweise der Gotik.

Genau diese ungewohnte Perspektive auf die Moderne steht im Zentrum von Gothic Modern, einer in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Ateneum Art Museum in Helsinki und dem Nationalmuseum in Oslo entstandene Ausstellung. Sie bringt moderne und gotische Werke in einen direkten Dialog miteinander und lässt auch erkennen, wie zeitgemäß und innovativ gotisches Kunstschaffen in Form und Ausdruck bereits war.

Die Ausstellung vereint Werke von Munch, Beckmann und Kollwitz mit jenen von Dürer, Holbein und Cranach. Wie wurde die Auswahl der Werke getroffen, um diesen historischen Brückenschlag zu ermöglichen?

Dr. Gleis: Einige der ausgestellten modernen Künstler:innen setzten sich gezielt mit gotischen Vorbildern auseinander und orientierten sich dabei an konkreten Werken.

So kopierte etwa Alberto Giacometti bereits als Jugendlicher Dürers Ritter, Tod und Teufel, während Paula Modersohn-Becker im Louvre nach Lucas Cranach zeichnete. 

Ähnlich wie im Mittelalter rückt in der Moderne — insbesondere vor dem Hintergrund sozialer Umbrüche und des Krieges — die Auseinandersetzung mit dem Tod erneut ins Zentrum künstlerischen Schaffens.

Hier ergeben sich interessante Parallelen: etwa zwischen Hans Holbeins Totentanz-Serie und modernen Variationen dieses Motivs, oder bei Käthe Kollwitz, die für das Motiv der um ihr Kind trauernden Mutter auf mittelalterliche Pietà-Darstellungen zurückgreift.

Auch Egon Schiele, der nach einer Wortprägung des Kritikers Arthur Roesslers als „Neugotiker“ bezeichnet wurde, lässt in der Wiedergabe des menschlichen Körpers expressive Gesten anklingen, die sich auch in den radikalen Figurendarstellungen mittelalterlicher Kunst finden.

Nicht zuletzt orientierte sich Edvard Munch bei der Gestaltung des Motivs der Sonne im Rahmen seines Projektes für die Universitätsaula in Oslo an der ausdrucksstarken Lichtregie gotischer Fensterrosen.

Weltweit bekannt für ihren herausragenden Bestand der grafischen Sammlung, ist die Albertina in der glücklichen Lage zentrale Werke sowohl der Gotik von Albrecht Dürer bis Lucas Cranach als auch der Moderne von Käthe Kollwitz bis Edvard Munch oder Max Beckmann zu besitzen. Gerade deshalb war es uns ein Anliegen, hier in Wien eine Brücke zu unserem eigenen Kernbestand zu schlagen.

Gibt es ein Werk in der Ausstellung, das Ihnen persönlich besonders am Herzen liegt – und wenn ja, warum?

Dr. Gleis: Es handelt sich eher um einzelne Gegenüberstellungen: etwa von einem gotischen Schnitzwerk, dem sogenannten Bopparder Vesperbild, welches für Max Beckmanns Kunst vorbildlich war und neben eben diesem zu sehen ist.

Daneben ist vielleicht auch eine Reihe von Madonnen-Bildern nennenswert, wo Altmeistern wie Baldung Grien die Neuinterpretationen von Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts wie Marianne Stokes oder Paula Modersohn Becker gegenüberstehen.

Die Raiffeisen Bank International ermöglicht durch ihr Sponsoring im Rahmen der Veranstaltung „Art + Dine“ einen exklusiven Vorabzugang zur Ausstellung für ausgewählte Kund:innen. Wie wichtig ist solche institutionelle Unterstützung für die Realisierung von Ausstellungsprojekten wie Gothic Modern?

Dr. Gleis: Solche Kooperationen sind für die Albertina von großer Bedeutung – nicht nur in Bezug auf die damit verbundene Unterstützung für die Kunst, sondern auch im Hinblick auf Sichtbarkeit und Wirkung.

Ein ambitioniertes Ausstellungsprojekt wie Gothic Modern, das große Kunst mit hohem wissenschaftlich-kuratorischem Anspruch verbindet, braucht solide Partner, die dieses Niveau mittragen. Die Zusammenarbeit mit der RBI erlaubt uns, kulturelle Exzellenz zugänglich zu machen – mit hoher Qualität und ohne Kompromisse. Ich sehe das als eine Form von geteilter Verantwortung zwischen öffentlicher Institution und engagierter Wirtschaft

Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit Partnern wie der RBI für die Vermittlung von Kunst an ein breiteres Publikum?

Dr. Gleis: Wir müssen heute über die Schwelle des klassischen Museumsbesuchs hinausdenken. Kultur mit gesellschaftlicher Erfahrung zu verbinden ist immer ein Gewinn. Institutionelle Partner wie die RBI schaffen hier wichtige Räume: Sie öffnen Türen, ermöglichen neue Zugänge und tragen dazu bei, dass Kunst auch als soziales Ereignis wahrgenommen wird. Das ist für uns ein echter Mehrwert!

Die Ausstellung Gothic Modern umfasst rund 200 Werke (zahlreiche internationale Leihgaben ergänzt um Werke aus eigenen Beständen des Museums). Sie ist von 19. September 2025 bis 11. Jänner 2026 in der Albertina Wien zu sehen.

Ralph Gleis photo
Ralph Gleis

Mehr zur Person

Dr. Ralph Gleis, geboren 1973 in Münster, studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Soziologie an den Universitäten Münster, Bologna und Köln. Erste berufliche Stationen als Galerieassistent und als Redakteur einer Kunstzeitschrift gingen seinem Schritt in den musealen Bereich voraus.

Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Fortbildung arbeitete er im Deutschen Historischen Museum in Berlin und am Königlichen Museum der schönen Künste in Antwerpen, bevor er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach Bonn wechselte.

2009 folgte der Umzug nach Wien, wo Gleis als Kurator für Malerei und Grafik bis 1900 im Wien Museum einstieg und zwischen 2013 und 2017 als Kurator für Skulpturen und Plastiken die Projektleitung „Neue Dauerausstellung“ übernahm. 2017 wurde er als Leiter der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin berufen und ab 2022 mit deren neugeschaffener Direktion betraut. Mit 1. Jänner 2025 trat er das Amt des Generaldirektors der Albertina an.