
Radoslaw Ignatowicz
Product Owner Custody
Der Countdown für die Verkürzung des Wertpapierabwicklungszyklus auf T+1 in Europa hat bereits begonnen. Werden die europäischen Märkte bis zur gesetzten Frist bereit für den bevorstehenden Übergang sein? Funktioniert das in einer fragmentierten Mehrwährungsumgebung? Werden die erwarteten Vorteile die Kosten überwiegen? Erfahren Sie mehr über die wichtigsten Herausforderungen dieser Umstellung, machen Sie sich mit dem EU-High-Level-Fahrplan vertraut und erfahren Sie, wie das Direct-Access-Modell der RBI T+1 in einen Wettbewerbsvorteil verwandeln soll.
„Die European Securities and Markets Authority (ESMA) hat in Abstimmung mit dem Vereinigten Königreich und der Schweiz beantragt, bis zum 11. Oktober 2027 auf einen T+1-Wertpapierabwicklungszyklus zu wechseln. Diese Initiative folgt der erfolgreichen Einführung von T+1 in Nordamerika und zielt darauf ab, Europas Post-Trade-Infrastruktur zu modernisieren, die Markteffizienz zu erhöhen und systemische Risiken zu verringern.“ Diese prägnante Aussage ist auf den offiziellen Webseiten der Aufsichtsbehörden zu lesen, zusammen mit einer Liste zentraler Treiber der Umstellung:
All dies sind valide Punkte, doch meiner Meinung nach war einer der entscheidendsten Faktoren der europäische Ehrgeiz. Wer erinnert sich noch an Zeiten, in denen die Wertpapierabwicklung zunächst 5, dann 3 und erst später 2 Tage dauerte? Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass über viele Jahre Europa das Tempo bei der Verkürzung des Abwicklungszyklus vorgab und bereits im Oktober 2014 in allen 27 EU-Ländern von T+3 auf T+2 umstellte – drei Jahre vor den USA. Die schnelle Entscheidung und Umsetzung des Wechsels auf T+1 in Nordamerika mobilisierte die europäischen Entscheidungsträger zum Handeln – und das ist gut so. Das Thema einer Verkürzung des Wertpapierabwicklungszyklus stand jahrelang im Raum, doch obwohl sich alle Marktteilnehmer über die Unvermeidbarkeit des Wechsels einig waren, drängte niemand auf die Umsetzung. Die ESMA-Entscheidung beendete diesen Schwebezustand und drängte die Marktteilnehmer in die Startblöcke. Allerdings ist das weder trivial noch kostenlos. Bevor wir von den Vorteilen profitieren können, werden wir einiges an Zeit und Geld investieren müssen, um die Herausforderungen während der Umsetzung zu meistern. Schauen wir uns einige davon an.
Im Gegensatz zum US-Markt ist die europäische Wertpapierlandschaft alles andere als homogen. Es gibt nicht nur viele Börsen, sondern auch zahlreiche Zentralverwahrer (Central Securities Depositories, CSDs), die ihre lokalen Abwicklungssysteme betreiben – das führt zu einer starken Fragmentierung der Abwicklungsprozesse und erschwert die Harmonisierung der Infrastruktur. Wir agieren in mehreren Währungen, und trotz jahrelanger regulatorischer Angleichung durch EU-Richtlinien bestehen weiterhin Unterschiede in den Aufsichtsregimen. Die RBI als direktes Mitglied von über einem Dutzend Zentralverwahrern (CSDs) bzw. Abwicklungssystemen der Zentralbanken in Europa spürt diese Herausforderung täglich.
Auf den ersten Blick bedeutet der Wechsel von T+2 auf T+1, dass uns die Hälfte der Abwicklungszeit verloren geht. Bei näherem Hinsehen ist die Lage jedoch noch anspruchsvoller: Für Geschäfte, die wir über Nacht verarbeiten wollen, müssen entlang der gesamten Abwicklungskette alle Informationen bereits am Handelstag (T) verarbeitet und die Transaktionen abgeglichen (Matching) werden. In der Praxis bleiben dafür nur wenige Stunden. Das lässt sich nur mit gut gestalteten und abgestimmten Prozessen sowie weitgehender Automatisierung erreichen. Jeder manuelle Eingriff verringert die Chance auf eine fristgerechte Abwicklung und erhöht die Fail-Raten (Abwicklungsfehlerquoten) – mit entsprechenden Zusatzkosten. Das führt zu einem weiteren wichtigen Faktor.
Das verkürzte Abwicklungszeitfenster erfordert Echtzeitverarbeitung und eine längere Systemverfügbarkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Eine der wichtigen Lehren aus der US-Migration war die erhöhte Systemverfügbarkeit, die es erlaubt, Instruktionen zu verarbeiten und an den Markt zu senden – auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten. Das gilt für die gesamte Kette; eine einzige Ausnahme kann den gesamten Aufwand zunichtemachen. Entsprechend werden Anforderungen an Automatisierung und Prozessharmonisierung buchstäblich alle betreffen. Als Nebeneffekt kann der Betrieb über mehrere Anbieter hinweg schwierig und kostspielig werden – sowohl auf der Handels- als auch auf der Abwicklungsseite. Kunden werden sich unterschiedliche Prozesse bei verschiedenen Intermediären womöglich nicht leisten können, was Marktkonsolidierung begünstigen dürfte.
Ein weiterer Aspekt betrifft Systeme zur Trade Affirmation und zum Matching. In den USA übernimmt diese Rolle die DTCC und ermöglicht praktisch allen Transaktionsparteien bzw. Intermediären, einen zentralen Affirmation-Mechanismus direkt oder über einen Agenten zu nutzen. In Europa fehlt eine solche Plattform; hier stützt sich alles auf marktspezifische Matching-Kriterien und bilaterale Vereinbarungen zur Transaktionsbestätigung. Bei einem verkürzten Abwicklungszyklus sind genaue Standardabwicklungsanweisungen von entscheidender Bedeutung, um eine hohe Erfolgsquote bei der Abwicklung zu gewährleisten. Marktteilnehmer sind skeptisch, ob in den nächsten zwei Jahren ein gesamteuropäisches Affirmation- und Matching-System entstehen kann. Meines Erachtens werden jedoch einige FinTechs oder ICSDs versuchen, diese Lücke zu schließen. Es würde mich nicht überraschen, wenn die DTCC selbst als einer der potenziellen Anbieter für Affirmation und Matching in den EU-Märkten auftritt – das wird sich jedoch erst mit der Zeit zeigen.
Ein eng damit verknüpftes Thema ist die Verfügbarkeit von Wertpapieren. Nicht ausreichende Wertpapierpositionsdeckung für die Abwicklung ist schon heute der Hauptgrund für Abwicklungsfehler. Wertpapiere in einer T+1-Umgebung am richtigen Ort zu haben, wird herausfordernd – insbesondere, wenn dieselben Titel an mehreren Orten gehandelt und abgewickelt werden können. Es ist besonders wichtig, genau zu wissen, wo die eigenen Wertpapiere verwahrt werden. Ein Kunde mag sagen: „Sie liegen bei meinem Custodian X“, doch für T+1 reicht eine solche Antwort möglicherweise nicht aus, um sicherzustellen, dass die Titel rechtzeitig am richtigen Ort ankommen. Kunden werden den Verwahrort entweder selbst steuern oder diese Aufgabe an ihre Custodians (Depotbanken) auslagern müssen – mit potenziellen Zusatzgebühren für die Umlagerung der abwicklungsrelevanten Titel an den richtigen Ort. Auch hier sind der Zeitpunkt der Instruktionsübermittlung und die automatisierte Verarbeitung entscheidend, da die Umlagerung von Vermögenswerten zwischen verschiedenen CSDs innerhalb eines Abwicklungstags schwierig sein kann. Dies könnte zudem zu vereinfachten Sub-Custodian-Ketten führen, um mehrere Schnittstellen für dieselben Assets als Nebeneffekt der T+1-Einführung zu vermeiden.
Cash-Liquidität wird im verkürzten Abwicklungszyklus zu einem sehr wichtigen Thema. Die Mobilisierung der notwendigen Mittel für die Wertpapierabwicklung in kürzerer Zeit wird zur Herausforderung – und verursacht Zusatzkosten. Die Verfügbarkeit der Gelder ist das eine, ihre rechtzeitige Bereitstellung am richtigen Ort das andere – beides ist entscheidend für eine reibungslose Abwicklung. Dies erfordert Upgrades der Funding- und Cash-Abstimmungsprozesse sowie eine höhere Geschwindigkeit im Informationsaustausch mit den Treasury-Abteilungen der Banken. Eine höhere Nachfrage nach Cash Limits und Absicherungsmechanismen ist eine weitere Folge der Zyklusverkürzung. Die Ausrichtung der Zahlungsverkehrskapazitäten an das Timing der Wertpapierabwicklung ist von zentraler Bedeutung.
Gleiches gilt für FX-Transaktionen als Teil des Funding-Mechanismus, besonders bei weniger liquiden Währungen. Ein Ungleichgewicht zwischen FX-Liquidität in einer bestimmten Währung und Abwicklungszeitpunkten kann die Kosten für einen Währungswechsel erhöhen und die Verfügbarkeit der für die Abwicklung erforderlichen Mittel beeinträchtigen. Anbieter, die in einem solchen Umfeld Funding- und FX-Services liefern können, sichern sich auch in den Wertpapierdienstleistungen eine Pole-Position.
T+1 lässt weniger Raum für Fehler und kann zu höheren Fehlerquoten und Penaltygebühren führen. Obwohl die nordamerikanische Erfahrung zeigt, dass die Verkürzung des Abwicklungszyklus die Fehlerraten nicht signifikant erhöht hat, ist dies für Europa aus den oben genannten Gründen keineswegs selbstverständlich. Europa ist weitaus komplexer und fragmentierter und verfügt über keinen zentralen europäischen Verwahrer. Das schafft insbesondere im grenzüberschreitenden Geschäft zusätzliche Herausforderungen.
Wie oben beschrieben, erfordert die Umstellung erheblichen Umsetzungsaufwand – und sie kostet Geld. Das kann auch für die Post-Migrationsphase gelten, denn fehlende Investitionen könnten dazu führen, dass mehr Personal benötigt wird, das außerhalb der üblichen Bürozeiten arbeitet. Kleinere Unternehmen könnten mit Personal und Infrastruktur-Upgrades ringen. Hier ist die Wahl des richtigen Partners entscheidend, um die Umstellung mit minimalem Aufwand und geringen Kosten zu bewältigen.
Wenn Sie nach dem Lesen der Herausforderungen das Gefühl haben, dass das T+1-Projekt wie ein Rezept für eine Katastrophe klingt, können Sie beruhigt sein, die Industrie hat die Bedeutung dieser Umstellung erkannt und hat bereits erste Schritte gesetzt. Die EU-Governance-Struktur umfasst das T+1 Coordination Committee, bestehend aus ESMA, Europäischer Kommission, EZB und Marktteilnehmern, das T+1 Industry Committee, bestehend aus Branchenverbänden, sowie Technical Workstreams mit Vertretern von Marktinstitutionen – hier ist auch die RBI stark vertreten. Im Juni 2025 veröffentlichte das Coordination Committee eine High-Level-Roadmap zur Begleitung der Umstellung. Zentrale Empfehlungen sind:
Das klingt zwar allgemein, aber die Richtung zur Prozessverbesserung ist vorgegeben. Es bleiben noch zwei Jahre, und auch wenn ich nicht empfehle, sich darauf auszuruhen und zu warten, bis sich die Herausforderungen von selbst lösen: Die Zeit reicht aus, um die notwendigen Anpassungen vorzunehmen und sich auf den verkürzten Abwicklungszyklus einzustellen.
Ich hoffe, dieser Artikel hat die Bedeutung der T+1-Umstellung und die Notwendigkeit betont, bereits jetzt mit Vorbereitungen zu beginnen, denn dies wird in den kommenden zwei Jahren eines der Top-Projekte für die europäische Wertpapierbranche sein. Jeder sollte seine Prozesse und Systeme analysieren, um sicherzustellen, dass die bevorstehenden Herausforderungen adressiert werden können. Ebenso notwendig sind eine saubere Kommunikation und die Abstimmung mit Gegenparteien entlang der gesamten Wertschöpfungskette – ohne sie ist keine Verbesserung der operativen Abläufe möglich. Wir bei RBI nehmen diesen Prozess sehr ernst und haben ein eigenes Projektteam mit breiter fachlicher Kompetenz aufgesetzt, um sicherzustellen, dass kein Aspekt der T+1-Umstellung übersehen wird. Wir haben mit der Analyse bestehender Prozesse begonnen, um deren Eignung und Bereitschaft für die anstehende Änderung sicherzustellen. Unser Direct-Access-Modell ist aus unserer Sicht besonders gut geeignet, die T+1-Herausforderungen zu meistern, da es Kommunikationsketten verkürzt und direkte Beziehungen zu Verwahrstellen in den CEE-Märkten ermöglicht, die größtenteils außerhalb von T2S liegen. Unsere Position im CEE-Raum im Zahlungsverkehr und in FX-Operations ist ebenfalls eine Stärke und positioniert uns gut für die kommenden Herausforderungen. Die RBI wird Sie über die Fortschritte auf dem Laufenden halten und die Schwerpunkte des Projekts aktiv kommunizieren – einschließlich der Themen, die die Aufmerksamkeit unserer Kunden erfordern.
Product Owner Custody