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Raiffeisen-Research-Publikation

„Perspektiven: Was kommt nach dem anstrengungslosen Verschuldungsabbau?“

  • Hohe Inflation und Nachwirkungen der Null- und Negativzinsen sorgen für rückläufige Staatsschuldenquoten in Eurozone – trotz weiterhin expansiver Fiskalpolitik
  • Rückenwind nimmt ab, wird aber in den nächsten Jahren noch beträchtlich sein
  • Im Falle Österreichs werden sich Inflationsgewinne bis 2024 auf EUR 35 Mrd., Zinsgewinne auf EUR 16 Mrd. belaufen
  • Euroländer können derzeitige Finanzpolitik langfristig nicht aufrechterhalten und müssen ihren Ansatz ändern, um einen Anstieg der Verschuldung in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts zu vermeiden

  • By Group Communications
  • Presseaussendungen

Von „koste es, was es wolle“ bis hin zu „niemand wird alleine gelassen“: „Das Motto ‚Nicht kleckern, sondern klotzen‘ bestimmte die europäische wie auch die österreichische Fiskalpolitik in den vergangenen drei Jahren des kontinuierlichen Ausnahmezustandes“, so Matthias Reith, Senior Ökonom bei Raiffeisen Research. Aber auch wenn auf ein Hilfspaket alsbald das nächste folgte: „Wumms“, „Doppelwumms“ & Co. vermochten es nicht, die Staatsfinanzen zu erschüttern. Vielmehr sind die Staatsverschuldungsquoten seit dem Jahr 2020 wieder sichtbar zurückgegangen, in Österreich von 82,9 % auf zuletzt (2022) 78,4 % des BIP, obwohl die Fiskalpolitik den Haushalten und Unternehmen immer noch stärker unter die Arme greift als vor der Pandemie.

„Anstrengungsloser“ Rückgang der Verschuldungsquoten durch doppelten Rückenwind

Möglich wird dieser „anstrengungslose“ Rückgang der Verschuldungsquoten durch einen doppelten Rückenwind historischen Ausmaßes, von dem die Staatsfinanzen seit 2021 profitieren. „Sinkende Staatsverschuldungsquoten waren und sind aufgrund hoher Inflation und weiterhin niedriger Zinsbelastung fast unvermeidbar“, so Reith. Denn auch die schnellste und kraftvollste Zinswende in der EZB-Geschichte kann die vielen Jahre der Null- und Negativzinsen nicht ungeschehen machen. Das durchschnittliche Zinsniveau der Staaten bleibt damit ungeachtet höherer Refinanzierungs-kosten am Markt auch in den nächsten Jahren niedrig. Die Zinswende kommt bei den Staaten erst mit zeitlicher Verzögerung an.

Staatsfinanzen profitieren in „Echtzeit“ von hoher Inflation

Gänzlich anders verhält es sich mit der hohen Inflation, von der die Staatsfinanzen in „Echtzeit“ profitieren. Das jedoch nicht in erster Linie wegen der medial viel beachteten sprudelnden Steuereinnahmen (USt-Aufkommen Österreich 2022: +16 % ggü. 2021), sondern vielmehr, weil die in Relation zur nominalen Wirtschaftsleistung dargestellte Staatsverschuldung von der hohen Teuerung „weginflationiert“ wird. Die Staaten sind also auch abseits steigender Steuereinnahmen klare „Inflationsgewinner“.

Diese „Inflationsgewinne“ stellen sogar die aufgrund des nach wie vor niedrigen Durchschnittszinsniveaus entstehenden Gewinne klar in den Schatten. Im Falle Österreichs werden sich die Inflationsgewinne bis 2024 auf EUR 35 Mrd. (2022-2024) belaufen, die Zinsgewinne auf EUR 16 Mrd. Der doppelte Rückenwind für Österreichs Staatsfinanzen addiert sich somit auf beträchtliche EUR 51 Mrd.

„Der doppelte Rückenwind für die Staatsfinanzen nimmt zwar ab, wird aber in den nächsten Jahren weiterhin beachtlich sein. Denn auch 2024 und darüber hinaus werden die Nachwirkungen des geldpolitischen Ausnahmezustands auf die durchschnittliche Zinsbelastung der Euroländer noch unübersehbar sein. Auf längere Sicht kann sich ein fiskalisches ‚Weiter so‘ dennoch fast kein Euroland leisten“, so Reith.

Der Anstieg der Kapitalmarktzinsen wirkt wie „schleichendes Gift“

Die durchschnittliche Zinsbelastung steigt zwar nur langsam, doch sie steigt. Der Anstieg der Kapitalmarktzinsen wirkt daher wie ein „schleichendes Gift“. Zudem stellen die historisch hohen Inflationsraten der Jahre 2022 und 2023 nicht den neuen Normalzustand dar. Längerfristig und im Durchschnitt wird die Inflation der Zwei-Prozent-Marke viel näher sein als den etwa achteinhalb Prozent des Jahres 2022. Nach Jahren, in denen mitunter der Eindruck erweckt wurde, dass angesichts von Null- und Negativzinsen das „Geld abgeschafft“ worden sei, ist vielmehr ein Umdenken notwendig. Ansteigende Verschuldungsquoten in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts wären ansonsten kaum zu vermeiden.

Die meisten Staaten der Kern-Eurozone befinden sich dabei in einer vergleichsweise günstigen Ausgangsposition. Immerhin würde in dieser Ländergruppe eine Rückkehr auf den vor der Pandemie beschrittenen Pfad der Budgetpolitik mehr als ausreichen, um die Verschuldungsquoten trotz höherer Zinsen bis 2030 unter das Niveau von 2019 zu senken. „Deutschland, Österreich & Co. könnten mit einer Rückkehr zum budgetären Zustand der Vor-Corona-Jahre die fiskalischen Kollateralschäden von Gesundheits- und Energiekrise innerhalb weniger Jahre beseitigen“, folgert Reith. Dagegen könnten sich Spanien und Frankreich zu fiskalischen „Sorgenkindern“ entwickeln. Immerhin müssten beide Länder eine zumindest in den Jahren vor der Pandemie nicht gesehene Kraftanstrengung an den Tag legen, um die Verschuldungsquote klar unter das Niveau von 2024 zu senken – vom Vor-Corona-Niveau des Jahres 2019 ganz zu schweigen.

Die vollständige Publikation finden Sie hier. Für Fragen steht Ihnen der zuständige Analyst Matthias Reith (Senior Ökonom bei Raiffeisen Research) gerne unter matthias.reith@rbinternational.com oder 01 71707 6741 zur Verfügung.